Unterägeri, Kinderheim Calanda

Kommentar

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1963 Praktikantin für ein halbes Jahr

1963 war ich als Praktikantin ein halbes Jahr, auf dem Weg zur Lehrperson, im Kinderheim Calanda beschäftigt. Mich hat nachhaltig die Behandlung von wehrlosen Kindern beeinflusst.

Ein Knabe von rund 10 Jahren, leicht behindert, hat das Bett genässt. Die Chefin griff mit einer kalten Dusche ein und meinte, dass der Knabe es so lernen würde, das Bett nicht mehr zu nässen. Sie hatte mir die Brause aus der Hand gerissen, weil ich selber nie auf eine solche Idee gekommen wäre. Die tägliche Arbeit im Kinderheim war ein Mühsal: keine geregelten Arbeitszeiten und Pausen, fast nur negative Feedbacks der Chefin, arbeiten bis um 23 Uhr, Schuhe putzen, Koffer ausräumen und Wäsche kennzeichnen für eingetroffene Kinder.

Ihr Mann war verständnisvoll, hat sich nie eingemischt und sich nur um sein Plattengeschäft gekümmert. Die Mutter einer Praktikantin hat sich an die zuständige Stelle in Bern gewandt und dort die Zustände geschildert. Die Intervention von Bern im Calanda hat dann für eine Beruhigung gesorgt.

Die Praktikantinnen waren während der Saison an verschiedenen Orten einquartiert. In den Schlafzimmern mussten sie Kinder während der Nacht betreuen. Das Essen für die Kinder war ungerecht verteilt. Je nach Status – z.B. die Ferienkinder von bekannten Eltern/Unternehmerfamilien – haben die Kinder Bananen erhalten, oder nicht. Es gab deutliche Klassenunterschiede im Vergleich der Ferienkinder mit den Halbwaisen, die immer anwesend waren.

Die Inhaber haben sich auf hohem Niveau verköstigt. Der Lieferant aus Zug lieferte Froschschenkel, Kaviar etc. Die Kinder wurden dafür mit einfachsten Menus versorgt. Meine Eltern haben sich nie für eine humanere Behandlung eingesetzt. Sie dachten eher, dass das für mich als Praktikantin eher «gut» sei. Ich könnte noch viele weitere Episoden erwähnen. Eigentlich ein Heim, das hätte geschlossen werden müssen. Leider gab es weder Kontrolle der Behörden, noch eine Aufsicht.

Susanne H.

Bericht aus den 60igern

Es war in den 60ern. Irgend etwas war los bei meinen Pflegeeltern. Vielleicht wollte die Mutter verreisen oder einfach ihre Ruhe. Sie brachte mich vom Aargau ins Calanda. Ich war ein Kind und begriff nichts.

Überall Kachelböden. Ich solle mich beim Personal vorstellen.

«Du bist aber ein hübscher , blonder Junge», hiess es.

«Ich kann dich schon zum Weinen bringen», meinte ich und alle wurden stumm.

Ein grosser, sehr viel älterer Junge wartete im Zimmer auf mich. Ich hatte Angst. Was alles geschah, weiss ich nicht mehr.

Es gab zu allen Mahlzeiten diesen Brei mit dem bitteren Geschmack von altem Schokoladenpulver.

Und es gab diese täglichen Spaziergänge zum See. Eines Tages waren die Praktikantinnen und die anderen Kinder schon weit voraus. Strahlender Sonnenschein.

Plötzlich fühlte ich eine Hand in meiner. Das war Bettina. So selbstverständlich. Wir waren 5,6 oder 7 Jahre alt. Sie war die Erste.

Später sagte sie, dass ihre Mutter sie bald abholen komme um in die Ferien zu fahren. In ein warmes Land. Ich sah, wie sie sich freute.

Ich sah sie nie wieder.

Hanspeter L.

Hinter der Fassade eines modernen Kinderheims

Ende 1962 wurden meine zwei Geschwister und ich vom Bezirksgericht Zürich ins Kinderheim «Calanda» fremdplatziert. Unsere Eltern hatten sich getrennt, und wir lebten bei unserer Mutter, einer jungen Frau aus Südeuropa. Ihr war die Wohnung gekündigt worden und statt ihr zu helfen, unterstützte das Jugendamt eine Heimplatzierung. Warum? Weil sie eine Ausländerin war?

Das private Kinderheim «Calanda» war für uns drei kleine Kinder ein Ort der Einsamkeit und des Schreckens, obwohl es modern und hell war. Besuch gab es fast nie, weil das für die Kinder nicht gut sei, so stand es in einem pseudopädagogischen Schreiben der Heimleiterin. Dafür gab es ein unerklärliches Strafsystem, das einem jederzeit treffen konnte. Schläge waren an der Tagesordnung. Darüber hinaus gab es sadistisch-perverse Strafen. Ein älterer Knabe, der regelmässig ins Bett machte, musste in den nassen Laken liegenbleiben, und wir mussten uns um ihn herumgruppieren, auf ihn herabsehen. Einmal lag er da in seiner Scheisse, ein Bild des Elends, das mir nie mehr aus dem Kopf gegangen ist. Mit Scheisse bekam auch ich es oft zu tun. Fast täglich wurde ich aufs WC geschleppt und mit der WC-Bürste auf den nackten Hintern geschlagen. Warum? Weil lange «Liegekuren» zur Tagesordnung gehörten, wehe dem, der dann nicht schlafen konnte und die Augen offenhielt. Ich war vier Jahre alt und schlecht im «so-tun-als-ob». Meine dreijährige Schwester erinnert sich an regelmässige Stockschläge in einem Unterstand im Garten. Sie erinnert sich auch an ein Zimmer, in dem sie mehrmals sexualisierte Gewalt erdulden musste. Einmal war ich auch dabei.

Heute weiss ich, wie unprofessionell die Heimleiterin das «Calanda» geführt hatte. Mit ganz wenig Personal, meist minderjährigen Praktikantinnen, deren Arbeitskraft schamlos ausgenutzt wurde. Es gab kein pädagogisches Konzept, keine pädagogische Begleitung der Praktikantinnen und keine behördliche Kontrolle des Kindswohls.

Das Bezirksgericht Zürich, das unserer Mutter nach der Scheidung «die charakterliche Eignung als Erzieherin und verantwortliche Pflegerin» absprach, hatte keine Bedenken, uns in ein Kinderheim mit einer Heimleiterin zu stecken, der tatsächlich jede «Eignung als Erzieherin und verantwortungsvolle Pflegerin» fehlte.

Ich habe einige Unterlagen über das «Calanda» gefunden und würde gerne mit Menschen sprechen, die das Heim hinter seiner hübschen Fassade kennengelernt haben, als Heimkind oder als Praktikantin.

J.M.

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