Das Projekt Kinderheime Schweiz
Die Guido Fluri Stiftung wurde 2010 gegründet. Im November wurde das Projekt «Kinderheime Schweiz» lanciert. Ziel war es, einen Teil der Geschichte der Fremdplatzierung von Kindern in der Schweiz aufzuarbeiten.
Projektleiter war der promovierte Historiker Thomas Huonker. Er leistete mit seiner Recherche wichtige Pionier- und Aufklärungsarbeit über das Leben und den Alltag der Heim- und Verdingkinder in der Schweiz. Ebenso thematisierte er Missstände in den Heimen und dokumentierte Missbräuche und Übergriffe.
Die Guido Fluri Stiftung initiierte und finanzierte das Projekt. Es war der Auftakt zum umfassenden Engagement von Guido Fluri zur Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels der Schweizer Geschichte, zur Förderung des Kindeswohl und dem Schutz der Rechte von Kindern.
Mümliswil: die erste nationale Gedenkstätte für Heim- und Verdingkinder
In der Gegend aufgewachsen, gehörte Guido Fluri zu den letzten Kindern, die Anfang der 1970er Jahre im Kinderheim in Mümliswil im Kanton Solothurn untergebracht wurden. Die Guido Fluri Stiftung konnte das Heim 2011 übernehmen. Es wurde sanft renoviert und zur ersten nationalen Gedenkstätte für Heim- und Verdingkinder umgestaltet. Im Juni 2013 fand die feierliche Eröffnung statt.
Gestützt auf die historische Aufarbeitung von Thomas Huonker hat der Kurator Markus Schürpf mit den vorhandenen Bildern und Dokumenten eine bewegende Dauerausstellung in den Räumen des ehemaligen Kinderheims gestaltet. Sie soll die Lebenswelt der damaligen Heim- und Verdingkinder für die Besucher:innen sicht- und erlebbar machen.
Die Gedenkstätte Mümliswil ist als Begegnungszentrum, Ausstellungsort und Informationsplattform konzipiert. Schulklassen, Gruppen und Privatpersonen können in originaler Umgebung mehr über die Geschichte der Heim- und Verdingkinder in der Schweiz erfahren. Der Besuch ist kostenlos und mit einer Voranmeldung möglich. Auf Wunsch werden auch Führungen angeboten.
Die Wiedergutmachungsinitiative
Die Guido Fluri Stiftung hatte am 10. Juli 2012 die Lancierung einer Volksinitiative angekündigt, falls die ehemalige Täterseite – insbesondere auch die staatlichen Institutionen, welche Zwangsmassnahmen verfügten – bis Frühjahr 2014 keine angemessene Aufarbeitungs- und Entschädigungsregelung vorlegen könne.
Und so lancierte Guido Fluri gemeinsam mit einem breit abgestützten Initiativkomitee die Wiedergutmachungsinitiative. Sie wurde im Dezember 2014 eingereicht und kam im Januar 2015 offiziell zustande. Sie forderte die wissenschaftliche Aufarbeitung der Geschichte der Schweizer Heim- und Verdingkinder sowie einen Fonds für die Opfer.
Der Bundesrat erstellte einen indirekten Gegenvorschlag, der die wichtigsten Anliegen aufgriff. Daraufhin wurde die Initiative zurückgezogen.
Bereits am 1. April 2017 trat das «Bundesgesetz über die Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981» in Kraft. Über 9’000 Betroffene stellten ein Gesuch und haben damit noch zu Lebzeiten eine offizielle Anerkennung für das erlittene Unrecht erfahren. Zahlreiche Opfer erhielten bis heute einen Solidaritätsbeitrag von je 25’000 Franken.
Weitere Folgeprojekte der Guido Fluri Stiftung:
KESCHA
Das neue Kindes- und Erwachsenenschutzrecht ist seit 2013 in Kraft. Obgleich die erste gesamtschweizerische Statistik zeigt, dass die Anzahl Schutzmassnahmen bei Erwachsenen und Kindern seit der Einführung der KESB tendenziell abgenommen hat, gibt es in Teilen der Bevölkerung ein Misstrauen gegenüber der KESB. Dieses Misstrauen erschwert die Zusammenarbeit mit der KESB, die einen gesetzlichen Schutzauftrag hat.
Vor diesem Hintergrund baute die Guido Fluri Stiftung, in Zusammenarbeit mit sechs starken Organisationen des Kindes- und Erwachsenenschutzes, die Anlaufstelle KESCHA auf. Die Anlaufstelle soll bei Konflikten die Betroffenen in schwierigen Lebenssituationen abholen und Unterstützung bieten. Es geht darum, Eskalationen zu verhindern und den Betroffenen Perspektiven aufzuzeigen, sodass die Kommunikation mit den Behörden wiederhergestellt werden kann.
Erzählbistro
Das Schweizer Parlament hat 2016 beschlossen, die Geschichte der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen umfassend aufzuarbeiten. Gleichzeitig erhielten die Opfer einen Solidaritätsbeitrag – als Anerkennung und Wiedergutmachung für das erlittene Unrecht. Politik und Gesellschaft haben damit ein Stück Gerechtigkeit wiederhergestellt. Nun kann für die Betroffenen die verstärkte Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte beginnen. Dafür braucht es auch Begegnungsorte zum Treffen, Sprechen und Austauschen. Dieser Begegnungsort ist das Erzählbistro mit seinen Veranstaltungen für die Betroffenen. Das Projekt wurde initiiert von Betroffenen und wird unterstützt durch das Bundesamt für Justiz und der Guido Fluri Stiftung.
Justice Initiative
Mit der «Justice Initiative» soll erstmals in allen Ländern Europas der Missbrauch an Kindern, wie er insbesondere auch in staatlichen und kirchlichen Institutionen stattgefunden hat, umfassend aufgearbeitet werden.
Die Initiative wird von Opfergruppen, Akademiker:innen und NGOs aus allen Teilen Europas unterstützt. In einer gemeinsamen Erklärung wird die öffentliche Anerkennung des Unrechts, die Wiedergutmachung sowie die wissenschaftliche Aufarbeitung ins Zentrum gerückt. Durch die Aufarbeitung der Vergangenheit soll der Kinderschutz in Europa langfristig gestärkt werden.
Caregivers
In keinem anderen Kanton gibt es mehr Verdingkinder und andere Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen als in Bern. Vor diesem Hintergrund haben die Guido Fluri Stiftung und Pro Senectute Kanton Bern im Januar 2022 das Pilotprojekt «Caregivers» gestartet. Speziell ausgebildete Betroffene begleiten und unterstützen dabei andere Betroffene im Alltag – vor Ort oder virtuell im Netz. Caregivers sind auch Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner für Alters- und Pflegeheime und schulen dort die Pflegenden. Das Pilotprojekt wird vom Bundesamt für Justiz unterstützt.
Betroffene können sich telefonisch unter 031 924 11 56 oder auf der Webseite melden. Dort gibt es auch einen Chat, bei dem Betroffene ihre Anliegen anbringen können. Bedient wird dieser Chat ebenfalls von einer Betroffenen, die jahrelang als Psychologin und Trauma-Therapeutin gearbeitet hat.